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mediale Fürsorge

von Marc Floßmann

Um die mediale Fürsorge zu verstehen hilft es, sich an die 90er Jahre zu erinnern. Gleich zu Beginn des digitalen Zeitalters verblüfft die Erfindung des “Tamagotchi“, rückblickend in aller Klarheit für die weitere, kommende Entwicklung.
Obwohl die Relevanz des Tamagotchi an sich schnell wieder verschwunden ist, hat sich ein Grundprinzip beobachten lassen, das sich fortan mit wachsender Selbstverständlichkeit entwickelt hat.
Nennen wir es das Digi-Tal . Das schwarze Loch der digital veränderten Kommunikation.

Die vom Medium Tamagotchi ausgehende Aufforderung, einem simulierten “Pixelsubjekt“, also Objekt, Fürsorge zu leisten, stellte eine neue Qualität im Umgang mit Spielzeug und Medien dar. In spielerischer Weise wurde hier eine lange Geschichte der Mediennutzung plötzlich in eine gegenteilige Richtung gelenkt, wobei die Fürsorge gegenüber einem Objekt – so wenig sie im Wortsinn möglich sein mag- eine grundsätzliche Vorgeschichte hat und gesellschaftlich akzeptiert wird, solange sie nicht zu deutlich in Erscheinung tritt.

Mediale Fürsorge geht auf die Beobachtung des Tamagotchi und seiner technisierten und digitalisierten Umgebung zurück, und auf die Umgangsweise und die Bedürfnisse von Menschen in hoch entwickelten und hoch technisierten Ländern. Aspekte medialer Fürsorge begleiten uns historisch, seit wir den Nutzen des Tierfelles als Kleidung, und den Faustkeil als Hilfsmittel erkannt haben, und bereit sind, Zeit und Arbeit in den Erhalt dieser Dinge – Medien genannt – zu investieren. Ein Kind, das seine Spielpuppe zum Einschlafen braucht, das Sorge trägt für dieses Objekt, diese gespiegelt sieht, ist beispielhaft für unseren materialistisch geprägten, manchmal ins rituelle ausufernden Umgang mit modernen, digitalisierten Objekten und Medien.

Zur Vorgeschichte ist die Situation einer Schiffstaufe insofern interessant, als dass einem technisch entwickelten Objekt eine Weihe zukommt, und das Versprechen der Gegenleistung, Mensch und Leben auf hohen See zu sichern und zu erhalten – heute mehr noch: komfortabel zu begleiten – dann öffentlich zelebriert wird.


Nun benutze ich diesen Neologismus „mediale Fürsorge“ als Firmennamen. Diese „Firma“ trägt diesen unseriösen und unberechenbaren Titel, nimmt sie doch eine Entwicklung in Anspruch, die sie weder entworfen hat, und weder steuern, noch adäquat abbilden kann.

Das Glücksversprechen der Gegenwart wird zentral mit der Mediennutzung und Vernetzung assoziiert, zuweilen die Frage nach Sinn und Alternativen von Ihr selbst unterdrückt.

Ein vereinfachter Kernsatz der Physik lautet: „Wo ein Körper ist,da kann kein Zweiter sein“, er lässt sich vielleicht auf die Kommunikation übertragen. Direkte, persönliche Gespräche werden von Handynutzung und Bildschirmbetrachtung unterbrochen. Wer kennt es nicht, dass ein geselliges Beisammensitzen so unterwandert wird, die Aufmerksamkeit verschwindet, der direkte Blick unterbrochen wird, und ersetzt, durch jenen auf Displays und Apparate.


Im Erscheinungsbild einer Firma oder Institution entpuppt sich die „mediale Fürsorge“ als ein ironisches Forschungslabor das in künstlerischer Weise Fragen an die Gegenwart und die Zukunft vorstellt.

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Schnee von heute

von Friedrich Immanuel Hausen

Wer sich in grundlegenden Lebensfragen neu zu orientieren hat und auf der Suche ist nach unverstellter Wirklichkeit, in der er seine Entscheidungen verankern kann, wird auf das Phänomen einer Ambivalenz des Medialen stoßen. Medien eröffnen und beengen oder verstellen uns den Zugang zu Realität. Was unsere Wahrnehmung ermöglicht, begrenzt auch unseren Fokus, legt uns auf Teilwirklichkeiten fest. Die determinierte Relativität unserer Zugänge ist vielschichtig: Wir sehen nicht nur mit Augen, hören mit Ohren, sondern überdies ist ein großer Teil dessen, was wir für unser Wissen halten, vermittelt, durch gesellschaftliche Instanzen und ihre Ausdrucksmedien. Unser Wissen steht auf dem Fundament des Vertrauens in Teilgesellschaften und auf deren Zugang zu einer unmittelbareren Wirklichkeit wir vertrauen. Wie aber steht es mit unserer eigenen praktischen Erfahrung, ermöglicht sie uns nicht einen Blick hinter die Kulissen? In unserem Leben benutzen wir Werkzeuge, solche, die bereits unserem Körper angehören, überdies benutzen wir einfache oder komplexe technische Artefakte, um zu handeln. Wir benutzen Hände, Messer, Gabeln, um zu essen, benutzen Zahlen und andere normierte Symbole, um zu rechnen, Unsere Beine, Fahrräder, Flugzeuge, um uns fortzubewegen, Sprachzeichen, um uns zu verständigen etc. Es gibt kein Handeln ohne Beanspruchung vermittelnder Zeichen und Instrumente, keine unvermittelte praktische Wirklichkeit. Die Wirklichkeit, in der wir uns orientieren ist die Wirklichkeit unseres Handelns, eine Struktur medialer Vermittlungen.

Unsere Zeit scheint gekennzeichnet von einer unübersichtlichen, bisweilen monströs anmutenden Eigendynamik der Herausbildung neuer medialer Formen sowohl der Sprache als auch der Technik. Für jemanden, der heute aufwächst, ist das Erscheinungsbild der Welt so sehr von den Gestalten medialer Materialität eingekleidet und durch diese geformt, dass der Eindruck entstehen kann, der Mensch sei um der Technik willen da und letztlich nur noch ein Betreiber einer Maschinerie, die sich um ihrer eigenen Selbsterhaltung willen den Betreiber züchtet und erhält. „Mediale Fürsorge“ begreift sich als Bild des mehrdeutigen Dienstverhältnisses zwischen Mensch und Medium. Marc Floßmann, Begründer der medialen Fürsorge interessiert sich besonders für mediale Blüten von Tamagogchis bis hin zu Tanzrobotern. Die mediale Welt inspiriert ihn als Bote und Ermöglichung neuer Freiheiten und Freuden, aber auch als sinnparasitäres Wachstum.

Das Interesse an einer doppelten Wertigkeit des Medialen drückt sich auch in Floßmanns bevorzugter Material aus: Styropor besteht hauptsächlich aus Luft. Er repräsentiert Künstlichkeit in konzentrierter Form. Im Bau stellt Styropor die doppeldeutige Eigenschaft des Verbindens und Isolierens. Verschiedene Teile werden miteinander verbunden, zugleich aber der eine Raum von dem anderen isoliert. Diese Doppelseitigkeit inspirierte Marc Floßmann dazu, Styropor als ein Bild des Mediums schlechthin zur Materialgrundlage verschiedenster Arbeiten zu machen. So vermitteln die vergrößerten, auf Styropor ausgeführten Drucke aus verschiedenen Jahrhunderten eben in die ferngerückten Zeiten ihrer Entstehung. Zwischen der Zeit Piranesis und uns liegt ein Graben, der durch Spuren in der Geschichtsschreibung, der Buchproduktion, die Vermittlung des Geschichtswissens in Radiosendungen, Fernsehsendungen, Internetplatformen etc. überbrückt wird. Das Medium dieser Überbrückung ist überwiegend unbelebt, letztlich völlig leer, wie Styropor. Wir sehen die Bilder, die eine Braunsche Röhre entwirft, oder ein moderner Flachbildschirm.

Marc Floßmann malt auch auf Styropor und zwar häufig Filmsszenen. Das gemalte Bild hält einen Moment aus einem Filmstreifen fest, zieht diesen aus dem Kontext heraus, und gibt ihm eine andere Note. Die Filmszenen werden gleichsam durch schwarzen Strich und freie Fließstrukturen, die die stark verdünnte Farbe abgibt, aus der ursprünglichen ästhetischen Glätte in einen aggressiveren, Zerfall evozierenden Strukturkontext versetzt. Dabei isoliert das Styropor symbolisch von dem ursprünglichen Zusammenhang, verdeckt diesen und öffnet den Freiraum zu kreativer Aneignung. Der Film selbst, als Medium bewegter Bilder ist analog zu Styropor eine Verbindung zur Zeit der Filmaufnahme, ein indexikalisches Zeichen, echter Abdruck der Entstehungssituation des Films. Insbesondere auch bei dokumentarischen Werken ist der Film ein isolierendes Medium, insofern der Lichtkegel der bewegten Bilder einen selektiven und Interpretationsmöglichkeiten begrenzenden Fokus auf Gewesenes wirft. Der selektive Blick bedeutet eine Freiheit, sich in einem Ignorieren, Festhalten, Deuten und Verarbeiten der irritierenden Kraft eines untergründigen Wirkströmens gewesener Ereignissen zu entziehen. Anstelle der blinden Wirkung des Geschichtlichen tritt das Bild als gleichsam historische Behauptung, welche die Aufmerksamkeit auf einzelne Aspekte fokussiert, und damit scheinbar das Geschehen begreift und bändigt. In Floßmanns Styroporbildern ist die Ausschnitthaftigkeit des Verfestigten und Bewahrten noch einmal gesteigert, der mediale Abstand zur Wirklichkeit verstärkt: Es ist nicht der Ausschnitt aus einer Dokumentation, sondern eines Spielfilms, d.h. eines fiktiven Ereignisses, einer fiktiven Geschichte. Die filmische Erzählung des Spielfilms ist im Grunde genommen ein kunstvoll zusammengesetzter Flickenteppich vorgespielter Ereignisse, die zusammen eine Wirkung wie einer wirklichen Handlung evozieren. Das Styroporbild repräsentiert einen isolierten Ausschnitt aus einem im Wesentlichen medialen Ereignis.

Styropor dient Marc Floßmann ihm aber nicht nur als Malgrundlage, sondern überdies baut er daraus verschiedenste Möbel. Das Medium Styropor ist warm, wie die Formen, die er für Schrank, Stuhl, Bank, Kopierer beansprucht, weich wirken. Der Inbegriff stofflicher Künstlichkeit und Substanzlosigkeit wird zum ansehnlichen Begleiter im Alltag, zu gestaltetem Wohnraum. Marc Floßmann gibt den Gegenständen aus Styropor oft einen freundlichen Charakter und lässt ihnen anthropomorphe Züge zukommen, wie vage angedeutete Köpfe oder Gliedmaßen. Wie Herrchen und Hund werden Mensch und Medium einander ähnlich.

Neben Möbeln erarbeitete er in den letzten Jahren vor allem auch architektonische Plastiken, vor allem von Burgruinen auf felsigen Sockeln. Die Bauten bleiben meist farblos, nur einige Details werden bemalt. Eine Welt aus Styropor – Eine Welt aus Luft – evoziert auch Vorstellungen aus der modernen Teilchenphysik, wonach ein verschwindend kleiner Prozentsatz der Materie wirklich fest und schwer ist, Vorstellungen einer Welt, in der weder Farben noch differenzierte Materialeigenschaften bestehen, sondern nur ein und dasselbe Element. Aber insbesondere die die Formenwelt der Floßmann`schen Wohnausstattung hat auch futuristische Züge. Die Styropormöbel mögen anmuten wie Teile von Raumschiffeinrichtungen. Styropor, der wirkt wie Schnee, mit der traumwandelnden Evokation einer Unvergänglichkeit. Ist dies das poetische Bild einer durchmedialisierten Zukunft? Warmer Schnee? Eis, das nicht taut? Floßmanns Blick in eine Zukunft weiteren medialen Wachstums scheint weder ängstlich noch bitter, sondern vielmehr derjenige eines humorvollen Beobachters und nicht ohne einen gewissen Optimismus, dass der Mensch auch in einer sich fortwährend wandelnden Umgebung seine vorübergehende Heimat finden wird.

In massivem Kontrast zu den Styroporarbeiten stehen Floßmanns Zeichnungen. Während er sich in jenen eher konzeptuellen Arbeiten einer Ergründung der Mehrdeutigkeit des Medialen widmet, drücken die Zeichnungen eher eine grundlegende Haltung gegenüber dem Leben und dem Menschen aus. In diesen entstehen in wenigen fließenden Linien flüchtige Figuren aus manchmal rissigen Linien, Figuren die oft von existentieller Grenzerfahrung gezeichnet scheinen. Sensible Geschöpfe im Werden und Vergehen. Viele Figuren wirken wie Kinder mit Greisengesichtern. Überhaupt ist ihr Alter sonderbar inkonkret, als wären in ihnen Gegenwart, Vergangenheit und ferne Zukunft einfach ineinander verwachsen. Im Greisen steckt noch das Kind, im Kind schon der Greis. Der handelnde, erfolgreiche Mensch mit seinen Ämtern und Verantwortungen erscheint in diesem Blick als bloße Oberfläche, hinter der sich ein unbeholfenes, und nur vage erahnbares Wesen befindet. Die kindliche Seite besitzt oft auch eine komische Note, ist es doch eine Seite am Menschen, der wir nicht mit Furcht und distanziertem Ernst begegnen. Der in den Zeichnungen ausgedrückte Blick auf das Leben ist nicht bitter, sondern eher warm und humorvoll, ein Effekt, der auch durch den leichten, spontanen Charakter der mit sensiblem Strich ausgeführten Arbeiten unterstützt wird.

Die Linien in Floßmanns Zeichnungen sind meist frei geführt, wie von Zufällen die den Figuren teils monströse Unförmigkeiten angedeihen lassen. Umrisse sind oft unfest und verlaufen im leeren Weiß. Es ist wie im wirklichen Leben, wo Charaktere, oft von gleichgültigen Zufällen geformt und deformiert wirken. Dabei haben die Bilder oft Schnappschusscharakter, wie Momentaufnahmen und halten Zwischenlagen in Bewegungen fest, oder auch kurzfristige Gesichtsausdrücke. Manche der Figuren drücken Angst aus, andere ein Erstaunen oder auch das Glück eines Augenblicks. Aber nicht nur die Figuren selbst scheinen im Flüchtigen erfasst, auch die umgebenden Interieurs, Landschaften oder Gärten verlieren ihre Konturen in porösen Linien oder im leeren Weiß. Auch die Umgebungen, die Welt selbst scheint unselbstverständlich, immer im Entstehen und Verschwinden. Die spärlichen vergehenden Linien vor dem raumgreifenden Weiß des Hintergrunds sind das Seltene, wie einsame Sterne in einem weiten Abendhimmel. Angesichts der narrativen Komik bekommen viele unter diesen Zeichnungen den Charakter poetischer Karikaturen, einer bildnerischen Lyrik von existentieller Komik. Der Humor zeigt am deutlichsten die versöhnliche Seite dieser Bilder und es scheint, als wäre dies Marc Floßmanns Vorschlag an uns: heiteren und staunenden Auges auch den schattigeren Seiten unseres Lebens zu begegnen.

 Zum Projekt Schmuckeremit

Zitat aus:

texte zur kunst, 2005, kunsthaus dresden

TOUCHING AND INFLAMING
AUSSTELLUNG “ARBEITSHAUS:EINATMEN.AUSATMEN”
IM KUNSTHAUS DRESDEN

by Doreen Mende:

The “WORKHOUSE” project was often dominated by doubts over alternative production models, for example when the “decorative hermit” Marc Flossmann, a graduate of Dresden’s art academy, delivered his parodic commentary on the “Me Inc.”(2) model in the vaulted cellar of the Kunsthaus. His installation consisting of a slide projection, letters, and an expanded polystyrene casing came across as a reactivated replica of a cabinet of curiosities. Among others, Flossmann had written to the office of the Federal President in Berlin, officially requesting permission to perform his representative duties as a hermit in Bellevue Park (the garden of the President’s official residence)—a request that was refused. This was a reference to a bizarre tradition in English landscape gardens of the 18th and 19th centuries, when aristocrats housed hermits in decorative dwellings for their edification and purification.